zu GUE Schmidts Werk "COMO NADA" Textauszug von Friedrich TOMBERG

14.11.2014 17:57

Friedrich TOMBERG „KUNST UND GESELLSCHAFT HEUTE".

 

In Katalog: "WIE NICHTS", COMO NADA", Ausstellung im LIA (Interdisziplinäres Labor der Künste), Bogotá, Kolumbien, GUE SCHMIDT, 2011

 

 

1. Textausschnitt

 

„Das Unverbundene und unvereinbare Gesamt der Kunstbetriebsamkeiten gibt sich vielmehr als das einzig noch Wesentliche aus. Die Vielfalt dieses turbulenten Ganzen ist verwirrend. Und eben auf diese Verwirrung kommt es den lässig drahtziehenden Mächtigen an. Wo es der Wissenschaft noch nicht gelungen sein sollte, den Glauben an eine mögliche Rationalität des gesellschaftlichen Lebens zu erschüttern, da tut die Kunst ein übriges: hier sorgen die Potentaten in Ökonomie und Politik für ein gehöriges Maß an Freiheit, hier darf und soll sich sogar – natürlich innerhalb eines gewissen Rahmens, denn schließlich hat auch die Freiheit ihre Grenzen – alles mit allem mischen: das Verrückte mit dem Nachdenklichen, das Angepaßte mit dem Kritischen, das bürgerlich Apologetische mit dem widerborstig Proletarischen wenn nur insgesamt der Eindruck einer Welt entsteht, die chaotisch, absurd, undurchschaubar und also auch in keiner Weise planmäßig änderbar ist“...

 

2. Textausschnitt

 

„Es ist daher nicht von ungefähr, daß hierorts die etablierte Wissenschaft gutgläubigen Bürgern einzureden sucht, nur dort seien – wenn überhaupt – Gesetze auffindbar und nur dort seien – mit allem Vorbehalt – Prozesse voraussagbar, wo das eigentlich Menschliche seinen Ort angeblich gar nicht hat: in der Natur, wie sie Gegenstand des Naturwissenschaftlers ist – handle es sich nun um Atome, Gene, Moleküle oder um die Sonnensysteme des Weltalls. Der Mensch, sagen sie, hat seine eigene Wirklichkeit, er ist in keine Formel zu fassen. Man sehe nur die Kunst! Was für eine Fülle von Einfällen an jedem neuen Tag! Was gestern noch unzumutbar schien, wird heute schon preisgekrönt; und niemand vermag anzugeben, was wir uns morgen werden alles als das Neueste auf dem Kunstmarkt anpreisen lassen. Da herrscht ein buntes Treiben, da ist man kreativ, da produziert eine Schar haltloser Individualisten Anarchie in allen Spielarten – wo wäre da Gesetz, Vernunft, Notwendigkeit? Und wie die Kunst, so das Leben. Beides ergießt sich angeblich aus einem unergründlichen Drang und Willen der Individuen, zwar mannigfach bestimmt und gehemmt, im ganzen aber doch freiheitlich“...

 

 

3.Textausschnitt

 

Kein Wunder daher, daß die sogenannte moderne Kunst, die aus der Auflehnung gegen die bürgerliche Wohlanständigkeit hervorgegangen ist, heute in der Bürgerkultur ihren hochgeschätzten Platz hat. Indem sie vermöge ihrer radikalen Negation allen gesellschaftlichen Sinns die Einsicht in den Prozeßcharakter der Gesellschaft erschwert, hilft sie zu verhindern, daß das gegenwärtige Stadium dieses Prozesses ansichtig werden kann“...

 

 

4.Textausschnitt

 

Die Gefahr, daß die Massen sich ihrer wahren Interessen und damit auch ihrer wirklichen Macht bewußt werden, wird dem äußeren Anschein zum Trotz um so größer, je mehr die Fäulnis der bürgerlichen Gesellschaft fortschreitet. Das herrschende System muß daher mehr und mehr Kräfte mobilisieren, um dieses Bewußtsein zu verhindern oder wenigstens zu trüben. Auch die Kunst ist auf den Plan gerufen: Ihr wächst einfach dadurch, daß sie bleibt, was sie geworden ist, eine neue ideologische Qualität zu. Gerade der Schein ihrer Freiheit von aller gesellschaftlichen Bindung läßt sie zu einem geeigneten Instrument direkter oder indirekter Manipulation des Bewußtseins werden“...

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