Was ist eine Politik der Menschenrechte?* Auszuege von ETIENNE BALIBAR

14.11.2014 16:50

Aus : Was ist eine Politik der Menschenrechte?*

Entstanden aus einem Vortrag, den ENTIENNE BALIBAR  im Juli 1991 am Institut Français von Santiago de Chile und an der Universität von Playa Ancha in Valparaiso gehalten hat.

ARGUMENT-SONDERBAND AS 211

 

„Schon seit langer Zeit werden wir in der Politik auf die Menschenrechte angesprochen, das heißt, die Politik und ihre unterschiedlichen »Subjekte« werden an die Menschenrechte erinnert, an ihre universale Geltung und ihren unbedingt verpflichtenden Charakter. Die Menschenrechte sind - wieder - zum absoluten Bezugspunkt des politischen Diskurses geworden…..

 

Fehlt ihnen nicht vielmehr eine Politik, die sich spezifisch auf sie bezieht - und zwar eine Politik, der es nicht bloß um ihre Proklamation geht, sondern eine Politik ihrer Verwirklichung und ihrer praktischen Umsetzung?

 

Zweifellos gehören zum Konzept einer Politik der Menschenrechte zu Recht auch sämtliche Aktionen, Kräfte und Formen, die sich schwerlich anders denn als Kampfformen beschreiben lassen

(auch wenn dieser Kampf im wesentlichen friedlich ist) und die Achtung der Person und der demokratischen Freiheiten hier umfassend durchzusetzen, dort insgesamt wiederherzustellen suchen, indem sie sich ihrer Einschränkung oder Unterdrückung widersetzen.

Die Politik der Menschenrechte hat immer schon angefangen, es gibt immer schon eine Politik der Menschenrechte. Und in diesem Sinne ist es auch wahrscheinlich, daß es

immer noch eine geben wird, und sei sie auch nur präventiv. Denn wir haben gelernt, die Vorstellung eines unaufhaltsamen und unumkehrbaren Fortschritts der Menschenrechte in der Geschichte ad acta zu legen.

 

Ich sage also, daß das Konzept einer Politik der Menschenrechte in seiner Spezifizik und in seinen eigentümlichen Schwierigkeiten genau da hervorzutreten beginnt, wo wir, ohne dabei die Politik zu verlassen, sondern ganz im Gegenteil mit den eigenen Mitteln der Politik (die weder die der Religion noch die der Moral, der Wissenschaft oder der Ökonomie sind) an die Grenzen der Demokratie als solcher gehen.

 

die berühmte Losung aus der Präambel der Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation von 1864 zu lesen vorgeschlagen: »Daß die Emanzipation der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiter selbst sein muß« eine treffende Übersetzung des Satzes der »Freiheit-und-Gleichheit

 

Schon 1789 ist der als eines der Menschenrechte mit aufgenommene Kontrapunkt des Eigentums aufgeladen mit sozialen Konflikten: Es geht um die Frage der »Subsistenzmittel« und, grundlegender noch, des »Existenzrechts«.

 

Die Forderung, wenn nicht das Konzept eines Rechts auf Arbeit ist bekanntlich fourieristisch. Fourier und seine Nachfolger gehen davon aus, daß die menschliche Existenz der Individuen (nicht nur ihre Subsistenz, sondern auch ihre Gefühlsäußerungen und die Einrichtung ihrer wechselseitigen Beziehungen) von nun an davon abhängt, daß sie »Arbeiter« sind, und er schlägt insgesamt vor, das Recht auf Eigentum als das Recht zu interpretieren, Arbeit zu bekommen.

 

Marx liegt genau auf der Linie einer Politik der Menschenrechte, indem er sich hütet, die These einer bloßen Umkehrung des Privateigentums in öffentliches Eigentum aufzustellen, und statt dessen im Kapital die »Expropriation der Expropriateure« als die Wiederherstellung des individuellen Eigentums auf der Grundlage der »Vergesellschaftung« definiert, die historisch von der kapitalistischen Produktionsweise verwirklicht wurde (vgl. MEW 23, 791).

 

Eine Politik der Menschenrechte geht bis an die Grenzen der Demokratie und treibt die Demokratie an ihre Grenzen, sofern sie sich nie damit begnügen kann, bürgerliche und staatsbürgerliche Rechte zu erobern oder juristisch zu garantieren, so wichtig diese Zielsetzungen auch sind. Sie muß die Menschenrechte, will sie diese in einem gegebenen historischen Augenblick erreichen, notwendig ausweiten und letztlich als Bürgerrechte erfinden (dazu gehört, sie zu konzipieren, öffentlich zu erklären und durchzusetzen).

 

Es ist aber auch das Wagnis, ohne das jedes Recht, selbst das der Völker auf ihre Existenz, auf Sicherheit oder Wohlstand, unrettbar verloren gehen kann.  „

 

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